Abgelenkt

Der langweilige Blog eines langweiligen Schriftstellers.

Sonntag, Mai 20, 2007

Roger Nigk gefigkt!

Man kann sich Anfang der Woche einen langen Kern in der dicken Scheibe Vollkornbrot Hochkant ins Zahnfleisch beißen. Man kann am Tag danach Fisch essen und genau das gleiche mit einer Gräte machen. Man kann 74 Stunden unter fiesen Schmerzen die Fresse voller Eiter haben und nicht zum Arzt gehen weil man arbeiten muss. Man kann sich an einem Samstag zum Allgemeinarzt schleppen und sich eine Mundspüllösung verschreiben lassen, von der man für 8 Euro Herpes bekommt und die im Endeffekt nichts bringt. Man kann heute in der Früh aufwachen und eine Schwellung über der gesamten rechten Gesichtshälfte ertasten und beim Blick in den Spiegel merken, dass man das rechte Auge nicht aufbekommt. Was gilt es zu tun? In der Regensburger Uni Klinik gibt's eine nette Abteilung rund um Fresse, die werden sich freuen mich zu sehen. Wo steht das Auto? Nicht da. Man ruft die Tante an, „Kannst du mich fahren? Ich seh ned g’scheid.“ Man findet das Auto vor der Wohnung des Vaters. Wo ist Baba? Wird er das Auto vermissen? Egal.

An der Informationsstelle muss ich erst einmal ein zweiseitiges Formular ausfüllen und ich stelle mir vor, wie jemand mit einem weggerissenen Arm, schwer am Zittern, diesen Wisch anstarrt und versucht herauszubekommen, ob er jemals Herzleiden hatte, zu denen zum Beispiel hoher oder zu niedriger Blutdruck zählen. Unter „Sonstige Krankheiten“ schreibe ich „Studium“ und unter Beruf „schriftstellerischer Freigeist“. Eine Wartezeit folgt, in der ich an die weiße Wand vor mir starren und bis 32 zählen konnte, bevor eine blonde Frau mich abholt. Die Blonde fragt mich nach der Praxisgebühr. Ich halte ihr die Quittung der Allgemeinärztin hin. Sie schaut sie nicht einmal an und gibt sie mir wieder. Erst viel später erinnere ich mich, dass man für Zahnärzte extra zahlen muss. Drinnen empfängt mich ein etwas dickerer Herr mit grauen Fäden im Haar. Ich halte ihn für den Arzt und begrüße ihn mit dem Spruch, den ich mir schon im Auto zurechtgelegt hatte, um die Stimmung zu lockern:
„Ich grüße Sie! Dachte mir es ist schönes Wetter, besuch ich Sie doch mal.“
Er und die Blondine im Hintergrund lachen laut. Mein lächeln ist nur halbseitig und drückt nicht die Freundlichkeit aus, die ich ihnen entgegenbringen wollte.
„Was führt Sie zu uns? Halt, lassen Sie mich raten: Zahnschmerzen!“
Meine Leidensgeschichte vom Brot und dem Fisch, der sich selbst als Toter noch bis zum Blute wehrte, ist schnell erzählt. Er nimmt zwei kleine verschmierte Handspiegel, mit denen er mein Maul durchforscht. Diese Spiegel sahen dreckig aus. Ich kenne bisher keinen Zahnarzt bei dem die Spiegel nicht den Eindruck machen, als wären Sie kurz vorher für eine - Achtung Wortspiel - DARMSPIEGELUNG benutzt worden.

Der eigentliche Arzt kommt herein. Auch ihm berichte ich von meinem Geschick Vollkornbrot und Fisch zu essen, den Spruch mit „Schönes Wetter deswegen Besuch“ lasse ich weg. Eine witzige Alternative fällt mir nicht ein. Ich werde weggeführt und geröntgt. Danach muss ich wieder ein Formular ausfüllen. „Setzen Sie sich bitte. Der Chef ist kurz weg und kommt gleich.“ Ich warte. Währenddessen unterhalte ich mich mit dem dickeren Herrn. Möchte herausfinden ob er ein Student ist und sage zu ihm: „Sie sind also der Hilfsarzt oder wie hab ich das zu verstehen?“ In der Tat Student, 8. Semester. Schon viel gesehen hat er. Kurze Horrorgeschichten von gebrochenen Kiefern. Ich bemitleide ihn dafür an einem so sonnigen Sonntag hier sein zu müssen. Er klärt mich über das System der Notdienst-Verteilung unter den Studenten auf. Es ist alphabetisch und er findet es in Ordnung heute arbeiten zu müssen, bedauerlicherweise sei nur zu wenig los. Der Arzt kommt. Eine längere Behandlung. Dazwischen bleibt Zeit mich auch mit ihm zu unterhalten. Er ist ein entspannter Mann mittleren Alters, der mich mit lockeren Sprüchen zum lachen bringt. Nur mit geballten Fäusten erträgliche Schmerzen hinterher hätten mir aber gerne erspart bleiben können. Wäre meine Tante - die im Wartezimmer erfolglos versuchte Henry Miller zu lesen - nicht in der Lage gewesen mich zu fahren, dann wäre ich wohl ... hm ... wahrscheinlich mit dem Bus Heim. Das hätte mich Stunden gekostet und mir waren schon die 20 Minuten Autofahrt zu lang.
Zuhause gab ich meiner Oma dann das Rezept das ich bekam. Antibiotika damit sich mein Herz nicht entzündet und dieses Arschloch hatte Schmerzmittel dazugeschrieben! Ich brauche keine Schmerzmittel und hab auch nie welche gebraucht. Jetzt liegen sie vor mir. Rausgeschmissenes Geld. Will sie wer?

Ich lege mich dort hin wo mein Vater schon seit längerer Zeit nicht mehr geschlafen hat und höre dem Fernseher zu. Darf nicht in die Sonne. Muss Wärme so gut es geht vermeiden. Perverse Schmerzen. Irgendwann schlafe ich ein. Erst vor einigen Wochen schmiss es mich unsanft vom Skateboard aber das heb' ich mir glaub ich für den nächsten Eintrag auf.

Wie geht es meinem Opa? Ein wenig besser nachdem er zwei Blutkonserven bekam. Gerade sitzt er draußen im Schatten. Er sah mich miserable Gestalt an und fragte mich, ob er den Waschlappen den ich mir aufs Gesicht legte, frisch mit kalten Wasser tränken soll. Natürlich winkte ich ab. Irgendwer spricht irgendwann zu mir und ich fahre ihn schlaftrunken aber aggressiv an „Sei ruhig, mir tut die Fresse weh!“ Danach entschuldige ich mich bei demjenigen, wer auch immer er war. Ich hasse es, wenn ich meine schlechte Laune an anderen auslasse, kann es aber nur nicht immer vermeiden. Scheiße is' das...

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Sonntag, Mai 13, 2007

dertodlebtundwasauchimmer

Er hat sich auf die Waage neben mir gestellt. 82 Kilo. Nicht viel wenn man bedenkt dass da schon mal über 100 angezeigt wurden. Fast fiel er um, als er sich draufstellte. Kein Gleichgewicht. Er meint jeden Tag 2 Kilo abzunehmen, was totaler Schwachsinn ist. Aber als er sich das letzte Mal wog (nicht lang her) waren tatsächlich noch 2 Kilo mehr drauf.
Vor ein paar Tagen hatte er hohes Fieber, hat halluziniert, war nicht schön. Ich war in der Arbeit, wusste von nichts. Sie war allein mit ihm. Der Arzt kam. Weitere Tabletten. Seine Zähne tun ihm weh. Er kann nichts mehr essen. Nur Suppen und die schmecken ihm nicht. Prinzipiell will ihm gar nichts schmecken. Kein Wunder dass er abnimmt. Wenn das Fieber weg ist kann er diese Woche zum Zahnarzt. In seinem innersten zweifelt er aber daran, ob es sich überhaupt noch lohnt. Die vom Krankenhaus meinten, dass sie wegen einem Termin zur Strahlentherapie anrufen würden. Sie haben sich nicht wie vereinbart gemeldet und er sagte "Weil's eh schon egal is'."

Schon länger her dass er draußen war. "Soll ich draußen umfallen!" und ich höre große Verzweiflung mit raus. Ihm ist ständig schwindlig. Heute hat er Fieber gemessen. Das Thermometer zeigte 34,8 an. Ich sagte ihm, dass er es wahrscheinlich nicht richtig gemacht hat. Er dementiert und macht es noch einmal. 34,7. Jemand erklärt irgendwas und er antwortet: "Ich brauch einen Sarg, das meinst du." Diese Sprüche gab es in den letzten Wochen zuhauf, aber stetig entschwand ihnen der unterschwellig augenzwinkernde Galgenhumor. Hoher und niedriger Blutdruck wechseln sich ab. Heute sind ihm vor seiner Tochter die Tränen gekommen. Es geht zu Ende mit ihm, soll er gesagt haben. Ich sah nur wie sie seine Hand auf seinen Rücken legte und er sich leicht zitternd den Kopf hielt. Dieser Mann ein Häufchen Elend? Weiß nicht was ich davon halten soll. What goes around, comes around?
Als ihm heute die Fernbedienung des Fernsehers von der Armlehne der Couch fiel, hätte er am liebsten gleich wieder geweint. Alles was passiert ist sein Pech. Alles was passiert zeugt von seinem Unglück. Ob er seinen 70. Geburtstag noch erlebt, frage ich mich. Wann hat er eigentlich Geburtstag? Irgendwann im September habe ich vor kurzem irgendwo auf einer alten Glückwunschkarte gelesen. Davon konnte ich auch sein Alter ableiten. Ich weiß nicht wann genau er Geburtstag hat, obwohl ich, so weit ich zurückdenken kann, mit ihm zusammen lebe. Das ist mit meinem Vater nicht anders. Und wo ist der? Keine Ahnung. Ich glaube er hat eine neue Freundin. Neue Errungenschaften werden dem Sohnemann nicht vorgestellt, das war und bleibt so. Aber wo zum Teufel ist er? Wie so oft nicht auffindbar wenn alles zusammenbricht. Und ich selbst merke dass ich mich auch immer mehr verstecke. Was ich nicht erfahre, raubt mir nicht den Schlaf und selbst wenn ich's erfahre ist es mir nachdem es ausgesprochen wurde schon wieder egal. Jeden Tag fragt man mich wie's ihm geht. Ich sage schlecht. Die Leute ziehen ihr Gesicht durch eine Dreckpfütze aus Trauer. Ich gehe weiter, ziehe mein Gesicht aus und lasse es auf den Boden fallen. Warum bin ich so ekelhaft apathisch? Warum finde ich nicht den Draht zu diesem sterbenden Menschen der mein Großvater ist, um einmal in unser beider Leben so miteinander zu sprechen, wie es Enkel und Großvater sollten ... ? Knochenzersplitternde Erleuchtung würde ich mir aus seinen Worte erhoffen und ein klein wenig großväterliche Nähe, wie ich sie in meiner Kindheit nur sehr selten erleben durfte und die mir bis heute kostbare Erinnerung blieb. Hätte er die Wahl gehabt sich seine Familie neu zusammen zu stellen, ich und viele andere wären wohl nicht mehr dabei. Aber natürlich lieben wir ihn alle. Familie ist Liebe und Liebe tut verfickt noch mal weh.

Erst heute kam jemand, der viel Leid in mein zuhause brachte, zu mir und sagte, dass es jemanden wie ihn kein zweites Mal gibt. Wie besonders er ist. Immer hilfsbereit, tüchtig, freundlich. Eigenschaften die es nicht wert waren familiär eingebracht zu werden? Mir drehte sich der Magen um, bei seinen Worten. Wer war dieser Wichser dass er sich traute zu mir zu kommen und ungefragt ein Loblied mit blutgurgelnder Stimme zu singen. Ich hätte ihm in seine dumme Fresse schreien sollen, wie viele Schmerzen er uns, und indirekt auch dem von ihm Gelobten, bereitet hat. Das ist eine andere Geschichte, eine andere Wunde die unter der dicken Kruste noch vor sich hineitert. Weswegen bin ich noch mal draußen und lasse mich von diesem Kerl bequatschen? Bist du fertig? Kann ich gehen? Wo soll ich hin?

Meine Füße tragen mich ins Wohnzimmer. Dort sitzt sie und weint für sich selbst, verwischt ihre Tränen aber als sie mich sieht. Ich schaue sie an und überlege kurz was sie alles auf sich nehmen musste. Sie hat Angst, will nicht mit ihm alleine sein. Verständlich. Ihm geht es schlecht und ich glaube dass sie ihn lieber nicht vor ihren Augen sterben sehen möchte. Die Arbeit macht mich fertig. Viel zu selten bin ich daheim und sobald ich es bin, kommt diese arschgefickte Arroganz in mir durch, durch die ich den Rest des Tages irgendwie verbringe, sodass ich am Ende selbst nicht mehr weiß was ich überhaupt getan habe, Hauptsache es hatte nichts mit Krankheit und Depressionen zu tun. Was bleibt mir zu sagen außer dass mir schlecht von mir selbst ist ...


Was kann ich euch mit auf den Weg geben? Ich richte mich an alle Frauen. Lest ihr das? Wohl eher nicht, aber die wenigen die es lesen, euch möchte ich sagen, dass ihr euren verdammten Verstand benutzen sollt. Kein Mann und ich wiederhole, KEIN MANN, sei er auch noch so am Arsch ... kein Mann ist es wert von euch gerettet zu werden wenn er euch wie Scheiße behandelt. Lasst sie wimmern, lasst sie jammern, helft ihnen nicht auf wenn sie es "eigentlich nicht verdient" haben. Auf was ich hinaus will: Meine Oma hat ihn vom Boden gekratzt. Sie hatte Mitleid als dieses Messer in seinem Rücken steckte. Sie heiratete ihn. Sie gab ihm ihr Geld. Sie schuftete sich die Haut von den Händen. Sie hatte kein verficktes Leben! Früher war alles anders, heute hat sich vieles geändert (Frauen sind selbstbewusster und ich begrüße das), aber ich möchte es nur erwähnt haben, falls es da draußen immer noch ein paar Menschen gibt, die nicht kapieren wie unglaublich wertvoll das Leben ist. Fickt eure Religionen, fickt sie! Ich bin selbst ein sehr gläubiger Mensch aber vergesst diese Scheiße von wegen Paradies und Leben nach dem Tod und weiß der Fick! Ihr lebt nur einmal, so viel ist sicher. Was ihr in eurem Leben nicht mehr seht, das werdet ihr nie mehr sehen können. Falls wir doch alle die Möglichkeit haben sollten, ein Leben nach dem Tod geschenkt zu bekommen, dann nehmt dieses Geschenk an. Bis dahin können wir uns nur auf das Verlassen was uns sicher ist, nämlich dass wir nur ein einziges Mal leben. Ich schreibe es noch einmal, damit ihr es auch wirklich gelesen habt: Das Leben ist wertvoll! Manche merken das erst zu spät und ich schaue in Richtung Schlafzimmer, wo zwei Menschen in getrennten Betten liegen, während der eine panische Angst vor dem Tod und der andere panische Angst vor dem Verlust hat, weil so unendlich viel schon verloren ging und nie mehr nachgeholt werden kann.

Ich zähle die Tage.

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