Roger Nigk gefigkt!
Man kann sich Anfang der Woche einen langen Kern in der dicken Scheibe Vollkornbrot Hochkant ins Zahnfleisch beißen. Man kann am Tag danach Fisch essen und genau das gleiche mit einer Gräte machen. Man kann 74 Stunden unter fiesen Schmerzen die Fresse voller Eiter haben und nicht zum Arzt gehen weil man arbeiten muss. Man kann sich an einem Samstag zum Allgemeinarzt schleppen und sich eine Mundspüllösung verschreiben lassen, von der man für 8 Euro Herpes bekommt und die im Endeffekt nichts bringt. Man kann heute in der Früh aufwachen und eine Schwellung über der gesamten rechten Gesichtshälfte ertasten und beim Blick in den Spiegel merken, dass man das rechte Auge nicht aufbekommt. Was gilt es zu tun? In der Regensburger Uni Klinik gibt's eine nette Abteilung rund um Fresse, die werden sich freuen mich zu sehen. Wo steht das Auto? Nicht da. Man ruft die Tante an, „Kannst du mich fahren? Ich seh ned g’scheid.“ Man findet das Auto vor der Wohnung des Vaters. Wo ist Baba? Wird er das Auto vermissen? Egal.
An der Informationsstelle muss ich erst einmal ein zweiseitiges Formular ausfüllen und ich stelle mir vor, wie jemand mit einem weggerissenen Arm, schwer am Zittern, diesen Wisch anstarrt und versucht herauszubekommen, ob er jemals Herzleiden hatte, zu denen zum Beispiel hoher oder zu niedriger Blutdruck zählen. Unter „Sonstige Krankheiten“ schreibe ich „Studium“ und unter Beruf „schriftstellerischer Freigeist“. Eine Wartezeit folgt, in der ich an die weiße Wand vor mir starren und bis 32 zählen konnte, bevor eine blonde Frau mich abholt. Die Blonde fragt mich nach der Praxisgebühr. Ich halte ihr die Quittung der Allgemeinärztin hin. Sie schaut sie nicht einmal an und gibt sie mir wieder. Erst viel später erinnere ich mich, dass man für Zahnärzte extra zahlen muss. Drinnen empfängt mich ein etwas dickerer Herr mit grauen Fäden im Haar. Ich halte ihn für den Arzt und begrüße ihn mit dem Spruch, den ich mir schon im Auto zurechtgelegt hatte, um die Stimmung zu lockern:
„Ich grüße Sie! Dachte mir es ist schönes Wetter, besuch ich Sie doch mal.“
Er und die Blondine im Hintergrund lachen laut. Mein lächeln ist nur halbseitig und drückt nicht die Freundlichkeit aus, die ich ihnen entgegenbringen wollte.
„Was führt Sie zu uns? Halt, lassen Sie mich raten: Zahnschmerzen!“
Meine Leidensgeschichte vom Brot und dem Fisch, der sich selbst als Toter noch bis zum Blute wehrte, ist schnell erzählt. Er nimmt zwei kleine verschmierte Handspiegel, mit denen er mein Maul durchforscht. Diese Spiegel sahen dreckig aus. Ich kenne bisher keinen Zahnarzt bei dem die Spiegel nicht den Eindruck machen, als wären Sie kurz vorher für eine - Achtung Wortspiel - DARMSPIEGELUNG benutzt worden.
Der eigentliche Arzt kommt herein. Auch ihm berichte ich von meinem Geschick Vollkornbrot und Fisch zu essen, den Spruch mit „Schönes Wetter deswegen Besuch“ lasse ich weg. Eine witzige Alternative fällt mir nicht ein. Ich werde weggeführt und geröntgt. Danach muss ich wieder ein Formular ausfüllen. „Setzen Sie sich bitte. Der Chef ist kurz weg und kommt gleich.“ Ich warte. Währenddessen unterhalte ich mich mit dem dickeren Herrn. Möchte herausfinden ob er ein Student ist und sage zu ihm: „Sie sind also der Hilfsarzt oder wie hab ich das zu verstehen?“ In der Tat Student, 8. Semester. Schon viel gesehen hat er. Kurze Horrorgeschichten von gebrochenen Kiefern. Ich bemitleide ihn dafür an einem so sonnigen Sonntag hier sein zu müssen. Er klärt mich über das System der Notdienst-Verteilung unter den Studenten auf. Es ist alphabetisch und er findet es in Ordnung heute arbeiten zu müssen, bedauerlicherweise sei nur zu wenig los. Der Arzt kommt. Eine längere Behandlung. Dazwischen bleibt Zeit mich auch mit ihm zu unterhalten. Er ist ein entspannter Mann mittleren Alters, der mich mit lockeren Sprüchen zum lachen bringt. Nur mit geballten Fäusten erträgliche Schmerzen hinterher hätten mir aber gerne erspart bleiben können. Wäre meine Tante - die im Wartezimmer erfolglos versuchte Henry Miller zu lesen - nicht in der Lage gewesen mich zu fahren, dann wäre ich wohl ... hm ... wahrscheinlich mit dem Bus Heim. Das hätte mich Stunden gekostet und mir waren schon die 20 Minuten Autofahrt zu lang.
Zuhause gab ich meiner Oma dann das Rezept das ich bekam. Antibiotika damit sich mein Herz nicht entzündet und dieses Arschloch hatte Schmerzmittel dazugeschrieben! Ich brauche keine Schmerzmittel und hab auch nie welche gebraucht. Jetzt liegen sie vor mir. Rausgeschmissenes Geld. Will sie wer?
Ich lege mich dort hin wo mein Vater schon seit längerer Zeit nicht mehr geschlafen hat und höre dem Fernseher zu. Darf nicht in die Sonne. Muss Wärme so gut es geht vermeiden. Perverse Schmerzen. Irgendwann schlafe ich ein. Erst vor einigen Wochen schmiss es mich unsanft vom Skateboard aber das heb' ich mir glaub ich für den nächsten Eintrag auf.
Wie geht es meinem Opa? Ein wenig besser nachdem er zwei Blutkonserven bekam. Gerade sitzt er draußen im Schatten. Er sah mich miserable Gestalt an und fragte mich, ob er den Waschlappen den ich mir aufs Gesicht legte, frisch mit kalten Wasser tränken soll. Natürlich winkte ich ab. Irgendwer spricht irgendwann zu mir und ich fahre ihn schlaftrunken aber aggressiv an „Sei ruhig, mir tut die Fresse weh!“ Danach entschuldige ich mich bei demjenigen, wer auch immer er war. Ich hasse es, wenn ich meine schlechte Laune an anderen auslasse, kann es aber nur nicht immer vermeiden. Scheiße is' das...
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