Abgelenkt

Der langweilige Blog eines langweiligen Schriftstellers.

Samstag, März 24, 2007

Maskenlos an der Tanzstange

Ich komme gerade aus dem Krankenhaus, mit meiner Tante und einer ihrer Töchter. Mein Opa liegt seit Montagmittag dort. Montag war auch der Tag an dem das Praxissemester für mich begann und ich kann nicht sagen dass ich mich gut dabei fühle. Das einzig Positive was ich daraus entnehmen könnte, ist das Feedback das ich für meine geschriebenen Artikel erhalte. Endlich bekomme ich von einer völlig fremden Person – meinem Chef – gesagt, dass ich ein schriftlicher Könner bin. Was er kritisierte war, dass ich fast schon zu intellektuell formuliere und damit die Leserschaft beleidigen könnte, für mich ein Kompliment. Dennoch bin ich mit der Gesamtsituation dort unzufrieden. Die erste Woche und ich stehe in einem Sumpf voller Dinge, die ich hasse. Sei es die Art wie die Menschen dort fühlen und sprechen oder der Umstand, dass ich mit einem beschissenen (steinzeitlichen) Mac arbeiten muss. Christ wird mir zustimmen, außer für aufwendiges Homerecording kann man sich den Apfel in den Hintern schieben. ICH HASSE MACZ! Zuhause übertrage ich die Apple-Shortcuts auf Windows und habe so schon einiges verstellt/gelöscht/zum Absturz gebracht. Mache viele Leichtsinnsfehler, kann den Menschen dort nicht zuhören, weil mich alles unterfordert und ich auch nichts bekäme, dass ich für mein Leben bräuchte, bis auf wahrscheinlich ein paar Cent Hungerlohn und das Gefühl extrem ausgebeutet zu werden. Allein über die Schule hatte ich schon sehr viele Praktikas, aufgrund verschiedener Gegebenheiten mehr als meine Mitschüler, und bei keinem fühlte ich mich so ausgesaugt wie jetzt. Noch nicht einmal das vertragliche ist geregelt, obwohl ich es normalerweise schon lange an die FH hätte weiterleiten sollen. Wahrscheinlich wird mir das Praktikum nicht einmal mehr anerkannt werden.

Sprung.

Montag war also mein erster Praktikumstag. Nach fast 10 Stunden Arbeit kam ich zuhause an. Im Grunde ging alles schief was hätte schief gehen können. Darüber werde ich eine Kurzgeschichte schreiben, weil dieser Tag einfach zu melancholisch war und mein Vater auch eine bittere Rolle darin spielte. Für euch umreiße ich einen Teil davon nur kurz.

Meine Oma empfing mich. „Wie war’s?“ Ich sagte in wenigen Worte wie’s war. Noch an der Eingangstür strich sie mit der Hand über meine Wange und meinte, dass sie mir etwas erzählen müsse. Zuerst dachte ich bloß „getröstet“ zu werden, doch dann die schwer zu tragende Nachricht: Mein Opa wurde um 13 Uhr abgeholt. Er klagte über Schwindel, urinierte unwissentlich als er auf der Couch saß, schien wie weggetreten. Ich ahnte Schlimmes. Wann war es? Vor mehr als einem Jahr lag er wegen einem Schlaganfall schon im Krankenhaus und jetzt das. Seit Wochen, ja sogar Monaten litt er an Schmerzen im Bein. Es brauchte seine Zeit bis wir ihn zu einigen Ärzten bewegen konnten, aber es half nichts. Nur Schmerzmittel von denen er mehr einnahm als von seinen Mahlzeiten, auch nachts. Ich gab ihm eine meiner Krücken. So konnte er wenigstens nach draußen gehen. Er war ein gebrochener Mann. Dazu meine Oma, die keine Möglichkeit ausnutzte ihre Verbitterung an ihm auszulassen und so hässlich es auch aussah, diese Wut hatte seine Berechtigung. Es ist dermaßen viel vorgefallen, ich würde es meiner Oma sogar nicht Übel nehmen, wenn sie auf seiner Beerdigung lachen würde. Aber das wird sie nicht. Wie viel Hass und seelischer Schmerz auch zwischen beiden liegen mag, so lieben sie sich doch mehr, als man ihnen zuschreiben möchte. Was mich daran stört ist, dass diese Liebe einzig und allein zum Vorschein kommt, wenn es meinem Opa wieder einmal richtig beschissen geht (es ist IMMER so; als er von einem Auto angefahren wurde, der Schlaganfall, wenn er früher blutend von seinen Sauftouren nachhause kam ... ich konnte alles mit ansehen). Ging es aber meiner Oma schlecht und ich meine WIRKLICH schlecht, verpisste sich dieses dumme Arschloch … eigentlich genau so wie mein Vater: Nachdem er Montag merkte dass etwas nicht stimmt – er hatte Urlaub – ging er weg. Das tat er auch bei meiner Oma. Und ich bin entweder in der Schule oder wie jetzt, in einem Praktikum. Dabei kann es mir einfach nicht gut gehen wenn ich weiß, dass meine Oma mit ihren Ängsten, Sorgen und Gedanken allein zuhause sitzt. Ungern erinnere ich mich an die Zeit, in der ich um halb vier in der Früh aufstehen musste, weil sie entweder zu sterben glaubte oder anderweitig Hilfe benötigte. Das ist Gott sei Dank vorbei, aber ich kann nicht behaupten dass solche Ereignisse mich unbeeinflusst ließen. Jetzt liegt er wieder im Krankenhaus. Dort kann er nicht wie so oft wegrennen.

Mit meiner Tante und ihren 5 Kindern besuchten wir ihn am ersten Tag. Während der Autofahrt machte ich verständlich, dass ich nicht reden wolle. Das hätte ich mir für meinen Opa aufgehoben, wollte mich mit ihm unterhalten, ihm ein wenig helfen so wie ich es in den Tage zuvor ein wenig tat, weil ich etwas Mitleid hatte. Angekommen sprachen wir nur kurz miteinander, denn schnell ging es um sein Krankenhauszimmertelefon, dass wir es anmelden möchten, damit er mit uns und Oma sprechen könne. Unmissverständlich sagte er, dass er von ihr nichts wissen wolle. Ab da wurde ich still. Meine Tante merkte sofort dass etwas nicht stimmt und sprach nach einigen Minuten im Beisammensein aller aus, dass ihr das nicht gefiele wie ich mich gebe (sie wusste nicht was mit mir los war). Was hätte ich ihr sagen sollen? Dass ich es zum kotzen finde wie er von ihr spricht? Wie gerne ich dieses kleine Stück Scheiße namens Unrechtbewusstsein in seinem behinderten Schädel finden möchte um es aufzublasen und mit meinem dreckigen Fick platzen zu lassen? Seine Frau schuftete sich das Fleisch vom Körper, weint sich im Moment wahrscheinlich die Augen aus und er wagt es vor uns allen, dazu noch vor den Kindern, zu sagen, dass er von ihr nichts wissen will!? Eine Ohrfeige hätte ich ihm geben wollen! Weiß dieser Mann was er ihr damals angetan hat? Weiß er was er ihr eigentlich alles schuldet??? Meinen rechten Arm würde ich geben um seine Logik Wort für Wort lesen zu dürfen, sollte es mich auch Jahrzehnte meines Lebens kosten!

Dienstag wird er operiert, das erfuhr ich alles gestern. Bekommt einen Katheter in die Hauptschlagader zum Herz, damit ihm über diesem Wege vorbereitende Medikamente zur Chemo- bzw Strahlentherapie zugeführt werden können. Er hat einen Tumor in der Lunge, daraus eine Metastase in der Hüfte, die den Knochen zerfressen hat, daher die abstrahlenden Schmerzen im Bein. Was mir einfach nicht in den Kopf will: Warum hat kein einziger dieser arschgefickten Ärzte etwas bemerkt? Ein Fach-Arzt machte sogar eine Röntgenaufnahme und ich wette, dass man das hätten sehen können und vielleicht sogar hätte MÜSSEN! Aber warum sah er’s nicht? Weil diese Praxis – in der ich bis dato Stammpatient wegen meinen vielen Verletzungen war – für ALLES, aber auch wirklich ALLES eine verfickte Röntgenaufnahme macht. Wie schnell dann das Betrachten der Aufnahmen zur Routine wird und man vieles schlichtweg nicht mehr mit einbezieht. Ich bin kein Arzt, aber sobald sich eine Metastase bildet, stehen die Heilungschancen mehr als gering. Lungenkrebs. Und jetzt?

Oma weiß davon nichts. Sie weiß von dem Verdacht auf einen Tumor, aber nichts Genaues. Auf der Straße erzählt man sich, dass sein ganzer Körper vom Krebs zerfressen sei. Das ist schwer übertrieben und ich habe nicht die geringste Ahnung woher diese Leute das haben. Irgendwann müssen wir ihr die Wahrheit erzählen, bevor sie’s von jemand anderen erfährt. Mich beunruhigt der Mitzieh-Effekt. Wenn der eine geht, geht auch der andere. Was wenn er stirbt? Vor ein paar Tagen war ich davon überzeugt dass er auf Oma nicht zutreffen würde, doch jetzt wo ich immer genauer erkennen kann was in ihr vorgeht, bin ich mir nicht mehr so sicher (sie würde sich allein schon wegen mir nicht hängen lassen, das rede ich mir ein). Wie gesagt, mein Praktikum, ich bin für 18 Wochen fast nicht zuhause und sie ist allein. Ich schlucke vor ihr die Tränen, bin mir aber sicher dass sie merkt, dass etwas nicht stimmt. Sie hat den 7. Sinn und der ist gefährlich. Sie erkennt sehr schnell und viel, kann perfekt kombinieren. Das ängstigt mich. Ich weiß nicht was die Zukunft für uns alle birgt. Dunkelschwarz möchte ich’s nicht sehen. Dieser Mann von heute, auch wenn er im Rollstuhl saß, so konnte ich doch den Mann sehen, der er vor seinem Schlaganfall war. Das war der Mann mit dem ich um den See spazieren ging. Das war der Mann, der mich im Kindersitz auf seinem Fahrrad spazieren fuhr. Das war der Mann, der mein Fahrrad reparierte damit der Fahrtwind die Sommerhitze von meiner Haut wehen konnte. Das alles zog an mir vorbei als ich ihn sah.

Nachdem wir ihn in sein Zimmer zurückbrachten und uns verabschiedeten, erzählte meine Tante mir alles, da ich begann Fragen zu stellen. Die schriftliche Erklärung des OP-Vorgangs die mir mein Opa in die Hand drückte (er ist froh wenn wir über seinen Zustand aufgeklärt werden, ohne dass er ein Wort dazu sagen muss) und das darin verzeichnete Wörtchen „Chemotherapie“ gab dem Puzzle das fehlende Stück. Die Tränen liefen mir im Flur übers Gesicht, einfach so. Ich hielt die Knöchel meiner rechten Hand vor die Lippen um das Zittern zurückzudrängen und meine Jämmerlichkeit vor den anderen Krankenhausbesuchern die uns entgegenkamen, zu verbergen. Im Treppenhaus legte meine Tante kurz den Arm um mich und sagte, dass es schon wird. Wird es?

Bedacht nicht weinend von meiner kleinen Cousine – die Tochter meiner Tante die uns begleitete und die sich wie in einem damaligen Eintrag beschrieben ein Daumenstück abschnitt – gesehen zu werden, blieb ich zwei Schritte hinter ihnen. Es regnete und im Auto nahm der Scheibenwischer meine Tränen mit, gegen die ich auf der Heimfahrt noch ein paar Mal kämpfen musste. Dabei weiß ich nicht weswegen ich eigentlich heulte. Wegen meiner Oma? Wegen meinem Opa? Wegen mir? Abwarten auch wenn es unsere Herzen quält.

Meine Probleme mit ihm waren stets mehr als intensiv, aber in meiner Erinnerung bleibt er der Mann, der für alle nur das Beste wollte, aber sich selbst dabei immer im Weg stand. Ich möchte stärker sein als er, mir selbst nicht im Weg stehen und wenn ich das nicht schaffen kann, wenn ich sobald es so weit ist diese schlechten Eigenschaften von ihm oder meinen Vater in mir sehe ohne Hoffnung auf baldige Besserung, dann schwöre ich euch bei Gott und allem was mir heilig ist, dann bringe ich mich um. Ein paar grinsen über diesen Satz, aber lasst euch gesagt sein, das ist ein Versprechen dass ich mit Blut unterzeichne und ich möchte nicht für einen hohlen Spruch geblutet haben. Ich bejahe das Leben in jeglicher Form, trotzdem...

Much love.

Roger Buscapé Nigk

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